Die Berufungskammer des Bundesstrafgerichts spricht die erstinstanzlich für schuldig befundene Beschuldigte zweitinstanzlich vom Vorwurf der Gehilfenschaft zur Verübung eines Sprengstoffdelikts (Gefährdung durch Sprengstoffe und giftige Gase in verbrecherischer Absicht nach Art. 224 StGB) aufgrund ungenügender Beweise in dubio pro reo frei. Die gegen sie erstinstanzlich in den Nebenpunkten ausgefällten Schuldsprüche im Zusammenhang mit ihrem Verhalten an Demonstrationen hatte die Beschuldigte bereits akzeptiert.
Das Urteil CA.2022.4 betrifft die Berufung der Beschuldigten gegen das Urteil der Strafkammer SK.2021.7 vom 19. November 2021. Die Anklage wirft der Beschuldigten unter anderem vor, am 18. Januar 2017 in gehilfenschaftlicher Unterstützung einer unbekannten Täterschaft verschiedene Feuerwerkskörper auf das Generalkonsulat der Republik Türkei in Zürich abzufeuern geholfen zu haben (Anklagepunkt 1.2). Die Erstinstanz erachtete den Anklagevorwurf als erstellt, befand die Beschuldigte entsprechend für schuldig und bestrafte sie hierfür mit einer (unbedingten) Freiheitsstrafe von 14 Monaten. Zwar fehlte es an einem direkten Beweis für die Tatbeteiligung der Beschuldigten. Jedoch war auf einem von zwei zur Abschussvorrichtung gehörenden Holzstäbe ihre DNA gefunden worden. Die Vorinstanz erachtete dies in Kombination mit weiteren Indizien als genügenden Nachweis für eine Tatbeteiligung der Beschuldigten im Sinne einer Unterstützung und Beratung der Täterschaft. Zu diesen weiteren Indizien gehörten die politische Gesinnung der Beschuldigten als Exponentin des linksradikalen Revolutionären Aufbaus Schweiz bzw. Zürich (RAS/RAZ), ihre offenkundige Aversion gegen die Politik und Regierung der Republik Türkei, ein von einer unbekannten Person und dem RAS im Internet publiziertes Bekennerschreiben sowie die Beteiligung der Beschuldigten an Anschlägen auf das Spanische Generalkonsulat in Zürich vor 20 Jahren mit angeblich demselben Modus Operandi.
Die Berufungskammer erachtet die genannten Indizien in ihrer Gesamtheit nicht als rechtsgenüglich, um eine Tatbeteiligung der Beschuldigten zu beweisen – auch nicht im Sinne einer Unterstützung oder Beratung der Täterschaft. Denkbar wären diverse Alternativ-Szenarien. So lässt sich gerade aufgrund der Tatsache, dass die Beschuldigte in diesen linksradikalen Kreisen verkehrt, nicht mit Überzeugung ausschliessen, dass sie mit einem solchen Holzstab unabhängig vom verübten Anschlag in Kontakt gekommen sein könnte. Für die verwendete Abschussvorrichtung wären denn wohl auch nicht zwingend spezielles Know-How nötig gewesen, über das nur sie verfügen würde. Alleine die politische (linksradikale) Gesinnung der Beschuldigten, ihre Stellung als Exponentin des RAZ/RAS, ihr Verhalten im Verfahren oder ihre Vergangenheit erlauben es beweisrechtlich nicht, ihr die strafrechtliche Verantwortung für die Verfehlungen ihrer Gesinnungsgenossen aufzuerlegen. Insgesamt fehlt es somit an den rechtsgenüglich notwendigen Beweisen für einen Schuldspruch.
Die Bundesanwaltschaft war sich dieser Problematik seit Beginn bewusst gewesen, weshalb sie die Ermittlungen schon früh einstellte bzw. von einer Anklageerhebung absah. Auf Beschwerden des Generalkonsulats der Republik Türkei hin wurde sie jedoch von der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts zur Weiterführung und Anklageerhebung verpflichtet.
Der gegen die Beschuldigte erstinstanzlich ausgefällte Freispruch (Widerhandlung gegen die Covid-19-Verordnung 2 und das Epidemiengesetz) und die mit Geldstrafe bzw. Busse sanktionierten Schuldsprüche (mehrfache Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte, Hinderung einer Amtshandlung, Beschimpfung sowie ein anderweitiger Verstoss gegen die Covid-19-Verordnung 2 und das Epidemiengesetz im Rahmen von Demonstrationen), waren nicht angefochten und daher erstinstanzlich in Rechtskraft erwachsen.
Gegen das noch nicht rechtskräftige Urteil der Berufungskammer steht den Parteien nach Erhalt der vollständigen schriftlichen Begründung das Rechtsmittel der Beschwerde in Strafsachen ans Bundesgericht offen. Für die Beschuldigte gilt nach wie vor die Unschuldsvermutung.
Beilage: Dispositiv CA.2022.4
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